Auf den Historismus des 19. Jahrhunderts folgte in den 1890er Jahren der Jugendstil, der den Einstieg in die Moderne im 20. Jahrhundert einläutet. Er ist eine internationale Erscheinung mit Zentren in Wien, Paris, Nancy, Barcelona und weiteren europäischen Städten; in Deutschland liegen seine Anfänge in München.
Namensgebend für den deutschen Sprachraum war die Zeitschrift
Jugend, eine illustrierte Kulturzeitschrift, die 1896 erstmals erschien und sich als Gegenbewegung junger Künstler und Kunsthandwerker zum Historismus und Eklektizismus verstand. Die Initialzündung des Jugendstils war kein Gemälde, sondern eine Stickarbeit mit dem Titel
Peitschenhieb, entworfen von Hermann Obrist und umgesetzt von Berthe Ruchet. Die künstlerische Darstellung eines Alpenveilchen wurde zu einem reinen Ausdruck von Bewegung, die mit ihren Linien und Schwüngen das neue Formgefühl ebenso zum Ausdruck brachte wie die leider längst zerstörte Fassadengestaltung des Fotostudio Elvira in München von August Endell.
Die Kunsthalle München widmet dieser bedeutenden und äußerst vielfältigen Kunstepoche eine umfangreiche Ausstellung, die alle Lebensbereiche umfasst: Malerei, Kunsthandwerk, Architektur und Alltagsgegenstände. Da unsere Reisezeit im Februar liegt, bleiben wir in den warmen Räumen der Museen und beschäftigen uns mit weiteren interessanten Ausstellungen in München.
Mittwoch, 5.2.25: Anreise und Alte Pinakothek
Wir erreichen München am späten Vormittag und beginnen unser Kulturprogramm mit einem Besuch in der Alten Pinakothek. Vielleicht sind Sie ihr schon einmal begegnet in der Ausstellung Geniale Frauen, die in Hamburg und (verkleinert) in Basel zu sehen war: die Malerin Rachel Ruysch (1664–1750). Ihre prachtvollen, täuschend echt wirkenden Blumenstillleben mit Pflanzen und Früchten, Schmetterlingen und Insekten aus den verschiedensten Regionen der Welt galten bereits zu Lebzeiten als gesuchte und kostspielige Sammlerstücke. Sie ist aber nicht nur eine exzellente Malerin, sondern setzte sich in ihrer Zeit gegen gesellschaftliche Normen durch: So war sie erstes weibliches Mitglied der Confrerie Pictura, Hofmalerin in Düsseldorf und so ganz nebenbei Mutter von zehn Kindern: eine absolute Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit. Die Alte Pinakothek widmet ihr die weltweit erste große monografische Ausstellung.
München gilt als Wiege des Jugendstils: Kunstschaffende legten hier um 1900 den Grundstein für Kunst und Design der Moderne. In einer Zeit rasanter wissenschaftlicher und technischer Neuerungen sowie gesellschaftlicher Umbrüche wollten sie ihren Beitrag dazu leisten, die Kunst zu revolutionieren und das Leben zu reformieren und gerechter zu gestalten. Künstler wie Richard Riemerschmid, Hermann Obrist oder Margarethe von Brauchitsch wandten sich von historischen Vorbildern ab, um zu einer neuen Kunst zu finden, die das Leben bis ins kleinste Detail durchdringen sollte. Ihre Ideen und Entwürfe bilden die Grundlage für die Kunst und das Design der Moderne. Mit mehr als 400 Objekten aus verschiedenen Bereichen von Kunst und Kunsthandwerk beleuchtet die Ausstellung die Rolle Münchens als Wiege des Jugendstils in Deutschland und zeigt, wie aktuell die schon damals diskutierten Lebensfragen heute noch sind. Auch in diesem Fall ist es den Kuratoren gelungen, den Kreis der gut bekannten männlichen Protagonisten um weibliche Positionen zu erweitern.
Lenbachhaus München
Der Surrealismus war eine politisierte Bewegung von internationaler Reichweite. Seine Anfänge liegen in Kunst und Literatur, er reicht jedoch weit über beide hinaus. Die Wirklichkeit war für die Surrealisten ungenügend: Sie wollten die Gesellschaft radikal verändern und das Leben neu denken. Schon seit ihrem Zusammenschluss in den 1920er Jahren prangerten sie die europäische Kolonialpolitik an, später organisierten sie sich gegen Faschisten, kämpften im Spanischen Bürgerkrieg, riefen Wehrmachtssoldaten zur Sabotage auf, wurden interniert und verfolgt, flohen aus Europa, fielen im Krieg.
Sie schrieben Poesie, feilten an der Dekonstruktion einer vermeintlich rationalen Sprache in einer vermeintlich rationalen Welt, arbeiteten an Gemälden und kollektiven Zeichnungen, fotografierten und collagierten, realisierten Ausstellungen. Der "armseligen" Vorstellungswelt der Tagespolitik verwehrten sie Einlass in ihre Kunst.
Die Regierung und Besatzung durch faschistische Parteien in mehreren Ländern Europas lenkten die Biographien seiner Protagonisten in unvorhersehbare Bahnen, die weit über Europa hinaureichten.
Innerhalb ihrer Kunst bestanden die Surrealisten auf einer absoluten "Freiheit", die den Rest der Gesellschaft anstecken sollte. Unter Freiheit verstanden sie ein Zusammenleben, das nicht von Lohnarbeit getaktet war und in dem es größere gemeinsame Ziele als Nation und Profit gab. Sie kritisierten die Verkümmerung der Vorstellungskraft in einer Gesellschaft, für die Kunst und Poesie zu exzentrischen Tätigkeiten geworden waren. "Wenn jemand uns sagt, unsere Gegenwart habe ganz andere Sorgen im Kopf, als Gedichte zu schreiben, antworten wir: 'Wir auch!'", schrieb ein Mitglied von La Main à plume, einer Gruppe, die im besetzten Paris in der Résistance kämpfte und Gedichtbände veröffentlichte. Dazu eine Pressestimme:
"Alle, die beim Wort Surrealismus (…) genervt sind (…), sollten jetzt unbedingt ins Lenbachhaus nach München fahren und dort die frisch eröffnete Surrealismus-Ausstellung sehen. Fans des Surrealismus sowieso, nicht nur wegen der aus dem Ausland geliehenen Bilder von Pablo Picasso, Leonora Carrington und Victor Bauner. Zum 100. Geburtstag des surrealistischen Manifests von André Breton bebildert diese Ausstellung einen wichtigen Aspekt, der zu lange vergessen wurde: Der Surrealismus war eine antifaschistische Bewegung.“
Tobias Timm, Die Zeit
Vor der Rückfahrt gönnen wir uns noch einen Blick auf die „Ästhetik der Freiheit“, um mit neuer Inspiration in unseren Alltag zurückzukehren. Mutig und frei, humorvoll, berührend oder verstörend – Positionen von 50 internationalen Künstlern zeigen, dass Exzentrik sehr viel mehr ist als Überspanntheit oder Dekadenz. Sie verweigert sich jeder Ideologie und ist so ein gesellschaftlicher Motor für Freiheit und Toleranz. Rund 100 Werke u. a. aus Malerei, Skulptur, Installation, Video und Design feiern Diversität jenseits von erstarrten Normen und Klischees. Sie verdeutlichen die Perspektive des „ex centro“, des Blicks von außerhalb einer fiktiven Mitte. Die Künstler experimentieren mit unterschiedlichsten Materialien und Techniken. Ihre Motive und Sujets betrachten und bearbeiten sie aus den überraschendsten Perspektiven. Sie verzerren, deformieren oder verflüssigen Figuren und Formen, fügen sie zu hybriden oder amorphen Kompositionen zusammen.
Pinakothek der Moderne
Ausstellungsansicht der Sonderausstellung „ECCENTRIC. Ästhetik der Freiheit“, Pinakothek der Moderne, Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen , Haydar Koyupinar.
Nach der Führung zu dieser Ausstellung bleibt noch Zeit, sich andere Abteilungen des Hauses anzuschauen. So hat das Designmuseum der Pinakothek der Moderne eine neue Dauerausstellung eröffnet mit dem Titel Kitchen Culture. Diese beschäftigt sich mit der Geschichte der Einbauküche, ausgehend von der legendären Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky über Küchenprojekte von Le Corbusier bis hin zu unseren heutigen modernen Einbauküchen und geht der Frage nach, wann das Private politisch wurde.
Treffpunkt: Karlsruhe Hauptbahnhof, Bahnhofshalle / Ecke Buchhandlung 7.50 Uhr
Leitung: Dr. Elisabeth Spitzbart
398 € für Bahnfahrt mit ICE KA-M-KA, 2 Ü/FR im Motel One am Sendlinger Tor München, alle Eintritte, Führungen und Reiseleitung.
EZ-Zuschlag: 119 €, zzgl. Fahrkarten für den ÖPNV für diejenigen, die kein Deutschlandticket haben.
Leider mussten wir den Preis nach oben korrigieren, da einige Museen die Gruppengröße auf 15 Personen limitiert haben. Statt der kalkulierten drei mussten jetzt sechs Führungen gebucht werden.